INPUTS " Institut fr postkoloniale und transkulturelle Studien " FB 10 " Sprach- und Literaturwissenschaften

Zwischen Kontakt und Konflikt

Stand und Perspektiven der Postkolonialismus-Forschung

15./16. November 2002

Veranstaltungsort " Institut Franais Bremen " Contrescarpe 19

Tagungsbericht

   
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Postkolonialismus-Kritik hat sich in den letzten Jahren zu einer wichtigen, treibenden Kraft entwickelt, die dem Westen gezeigt hat, dass er sich lediglich als eine Region innerhalb der Welt betrachten sollte. In der Folge wurde die Moderne ebenfalls einer Dezentrierung unterzogen, zumal sie in den ehemaligen Kolonien sehr unterschiedlich verlaufen ist. Sollten wir demzufolge von einer Moderne im Plural sprechen? Ist die transkulturelle Moderne wieder lokalisiert? Wie schlagen sich transkulturelle Erlebniswelten und Themen konkret in postkolonialer Literatur und in der Theoriebildung nieder? Gibt es nur noch Peripherien und soll das Zentrum verschwinden? Mit diesen aktuellen Fragen der Postkolonialismus-Debatte beschftigte sich im Rahmen einer ffentlichen Tagung das Institut fr postkoloniale und transkulturelle Studien (INPUTS) der Bremer Universitt. INPUTS veranstaltete diese Tagung in Kooperation mit dem Institut Franais, den AFRIKA-FreundInnen Bremen e.V., der Deutsch-Franzsischen Gesellschaft Bremen und der International University Bremen. Das seit dem WS 2002/03 bestehende Institut, welches aus dem im Januar 2001 gegrndeten Institut fr kulturwissenschaftliche Trikont-Studien hervorgegangen ist und inzwischen ber 20 Professor/innen und wissenschaftliche Mitarbeiter/innen vereint, hat es sich zur Aufgabe gemacht  so die Sprecherin des Instituts, Gisela Febel,  eine historisch-kritische Reflexion der Beziehungen zwischen europischen und auereuropischen Kultur,- Wirtschafts- und Lebensrumen anzuregen, hegemoniale Praktiken vermeintlicher Zentren zu hinterfragen und Wege aufzuzeigen, die aus dem konfliktreichen Erbe der Kolonisierung hinausfhren knnen. Der viel diskutierten Globalisierungspolitik, wie sie sich in der Ausbreitung der neuen konomien, Technologien und westlichen Politikstrategien formuliert, sollen neue Kulturkonzepte und Identifikationsmuster entgegengestellt werden, die innere Differenzierungen zulassen und die derzeit unter den Stichworten Hybridisierung (mehrfache Identitten) und Kreolisierung (kreative Vermischung) diskutiert werden. Denn selbst der Multikulturalismus, unsere gelebte Realitt, droht unter Berufung auf festlegbare kulturelle Identitten ein Konzept der Ghettoisierung und Kulturessentialismus zu werden.

Auf Einladung der OrganisatorInnen fanden sich acht (inter-)nationale Referenten und Referentinnen zusammen, um mit zahlreichen ZuhrerInnen in den Rumlichkeiten des Institut Franais de Brme zu diskutieren. Einer der zentralen Ausgangspunkte der interdisziplinr konzipierten Tagung zielte darauf ab, postkoloniale Theorie selbstkritisch zu hinterfragen, luft doch der Begriff des Postkolonialen zuweilen Gefahr, der Beliebigkeit anheimzufallen oder neokoloniale Tendenzen zu verdecken. So erluterte die Soziologin Sophie Bessis (Paris) in ihrem abendlichen Erffnungsvortrag Entre discours universel et pratique politique, les nouvelles logiques de l hgmonie occidentale ihr Konzept der  Neuen Hegemonien (nouvelles hgmonies), das ihrer Ansicht nach unsere sogenannte postkoloniale Welt kennzeichnet. An vielfltigen Beispielen zeigte sie die Diskrepanz zwischen politischer Theorie (la parole) und deren Umsetzung (la pratique) vermeintlich universell geltender Menschenrechte, die einerseits bis heute unter weitestgehendem Ausschluss des Sdens verhandelt werden und andererseits uerst willkrlich, zumeist nach konomischen Interessen, angewendet werden. Dieser  doppelte Standard (double standard) fhrte sie u.a. zur Frage, welchen universellen Geltungsanspruch ein sozialpolitischer Diskurs inne habe, der auf Exklusion und globaler Dominanz basiert.

Am darauffolgenden Tag begab sich zunchst der Anglist Frank Schulze-Engler (Frankfurt/M.) Auf die Suche nach der verlorenen Moderne: Dekolonialisierungsmythen, Container-Kulturen und die Krise der postkolonialen Theorie. Er sprach in Anlehnung an Anthony Giddens von einer  radikalisierten Moderne , in der sich die Peripherie neu integriert. So sieht er in der Globalisierung durchaus die Chance fr eine  vernetzte Zivilgesellschaft , die sich durch Pluralitt und Transkulturalitt auszeichnet. Doch er przisierte auch das der Debatte inhrente Paradoxon: Einerseits sehen sich vermeintliche Zentren durch die (Post-) Kolonialismuskritik zur Dezentralisierung gezwungen - gibt es doch aufgrund der Deckungsgleichheit von Westen und Moderne keine Auenseite mehr -, andererseits luft gerade der Diskurs des Postkolonialismus Gefahr durch berproduktions- und Strukturkrise sein kritisches Potential zu verspielen. Um nicht in einer inflationren Rhetorik der political correctness unterzugehen, msse der Begriff des Postkolonialen gerade den Blick auf das Andere in seiner Heterogenitt frei geben und vor allem lokale statt globaler Zugnge ermglichen. Zur Przisierung schlug Schulze-Engler eine Eingrenzung auf fnf Varianten der Verwendung des Begriffs des Postkolonialen vor: Erstens kann es eine Theorierichtung benennen, zweitens bestimmte Regionen der Welt, drittens eine politische Ideologie, viertens ein akademisches Feld in bereits bestehenden Wissenschaftsdisziplinen und fnftens kann es einen semantischen Mix aus dem bisher Genannten bezeichnen. Damit zeigte der Referent die Zweifel an der Paradigma-Funktion des Postkolonialen auf, die sich in einer Verschiebung der Problemhorizonte (Kulturnationalismus, Flucht ins "Koloniale", "Postkolonialismus" als Aktivismus, Narzissmusproblem - Selbstfindung) niederschlagen.

Der Soziologe Srgio Costa (Berlin/Brasilien) fragte  auch unter Bezugnahme auf die Thesen von Sophie Bessis - in seinem Beitrag Menschenrechte weltweit: Der postmoderne Blick und eine US-amerikanische-brasilianische Kontroverse, ob die humanistische Epistemologie nicht ein Instrument der kolonialen Unterdrckung und daher durch eine postkoloniale Epistemologie zu ersetzen sei. Er wies darauf hin, dass der Menschenrechtsdiskurs im 19. Jahrhundert entstand und eben nicht ein  Projekt der Moderne (Habermas), sondern einen Prozess der Moderne reprsentiert. Dieser Modernittsdiskurs ist in den  Zentren bis heute geprgt von Ungleichzeitigkeiten: einerseits gekennzeichnet durch Demokratisierungsprozesse nach innen, andererseits durch imperialistische Herrschaftsansprche nach auen. Die  Peripherie darf daher nicht an einer idealtypischen Moderne der  Zentren gemessen werden. Statt  Implementierung eines vermeintlich universalistischen Menschenrechtsdiskurses und abstrakter kosmopolitischer Rechte schlgt Costa eine Transformation, eine Neuverhandlung eines historisch gewachsenen Prozesses vor, unter Anerkennung von Differenzen. Statt Menschenrechte als  Exportartikel fr die vermeintliche Peripherie anzusehen, knnten sie auch in vielerlei Hinsicht in die ehemaligen Zentren importiert werden (Bsp. Asylpolitik).

Der geplante Vortrag Widerstand und Vershnung. Von der Theorie zur Praxis von Gerhard Stilz musste aus Krankheitsgrnden leider ausfallen, wird aber in der Publikation erscheinen. Gleichwohl wurde der bergang von der Theorie zur Praxis mit dem anschlieenden Beitrag Gewalt, Krieg und Genozid aus der Sicht der Schriftstellerinnen im afrikanischen Kontext von Pierrette Herzberger-Fofana in sehr eindringlicher Weise vollzogen. Der emphatische Beitrag zeichnete sich besonders durch das Zusammendenken von schwarzem Feminismus und Postkolonialismus aus und zeigte Krieg und Konflikt als Schauplatz aktueller frankophoner Literatur (Ludo Martens: Abo, une femme du Kongo 1995, Yolande Mukagasana: La Mort ne veut pas de moi 1997 und N aie pas peur de savoir 1999, Maie-Aimable Umurerwa: Comme la langue entre les dents. Fratricide et pige identitaire au Rwanda 2000, Monique Ilboudo: Murekatete 2000, Marie-Batrice Umutesi: Fuir et mourir au Zare. Le vcu d une refugie rwandaise 2000). Die hier reprsentierten autobiographischen Einzelschicksale wrden nicht absolut gesetzt, sondern glten als Rechenschaftsberichte eines/r einzelnen fr viele, denn individuelle Lebensgeschichten seien immer auch Geschichten von Kollektiven. Die Konstruktion bzw. Re-interpretation von Geschichte in autobiographischen Texten habe auch eine Auf- und Neubewertung dieses Genres zur Folge. Laut Referentin kme in besonderer Weise gerade die Literatur von Frauen dieser notwendigen Erinnerungsarbeit (devoir du mmoire) nach. Als eindringliches Beispiel von Vergangenheitsbewltigung nannte Herzberger-Fofana die Texte von Yolande Mukagasa, die durch den ruandesischen Genozid von 1994 ihre drei Kinder, ihren Mann, ihre Geschwister und die meisten ihrer Freunde verloren hat. Anhand dieser Texte zeigte die Referentin, dass der Prozess des Heilens und der Vershnung nur durch Gerechtigkeit und Vergebung eingeleitet werden knne; Gerechtigkeit durch offene Schuldbekenntnisse der Tter und Vergebung durch Traumatabewltigung auf Seiten der Opfer.

 

Ebenso wie Herzberger-Fofana beschftigte sich der Entwicklungssoziologe Elsio Macamo (Bayreuth/Mosambik) in seinem Vortrag Die Postkolonie und die Zhmung des Schicksals in Afrika mit der Frage nach afrikanischen Memoria-Konzeptionen und warnte davor, Kolonialismus als einzigen allmchtigen Kreuzungspunkt (post)-kolonialer Kulturen anzusehen ( Das Leben in der Postkolonie ist nicht nur Diskurs! ). Candides Devise folgend Il faut cultiver notre jardin ginge es auch in Afrika darum, existenzielle Orientierungsmuster und Bestndigkeiten aufzubauen, um so Handlungsspielrume zu gestalten. Mit seinem Beitrag, der eine Vielzahl von Geschichten aus der afrikanischen Alltagswelt prsentierte, verwies Macamo auf das bedeutsame Zusammenwirken von Mikroereignissen und politischen Begebenheiten.

Claudia Gronemanns (Leipzig) Beitrag Postkoloniale Theorie und Literaturwissenschaft: Zur Verschrnkung von Kultur- und Textbegriff war den beiden Schriftstellerinnen Nicole Brossard (Kanada) und Sylvia Molloy (Argentinien) gewidmet und stellte einem entgrenzten Textbegriff  in Referenz auf Kristevas intertextuellem und Foucaults diskursanalytischem Ansatz  einen entgrenzten Kulturbegriff des Postkolonialen zur Seite. Nach Gronemann lassen sich Begriff und Anwendbarkeit des Postkolonialen nicht auf den Bereich der  Dritten Welt reduzieren, sondern knnen durchaus auf alle hybriden und vor allem minoritren Identittsformen  ethnischer oder geschlechtlicher Art  bertragen werden. Am Beispiel autofiktionaler Texte von Brossard und Molloy veranschaulichte Gronemann die Dekolonialisierung des weiblichen Krpers und homoerotisches weibliches Begehren und setzte das textuelle Vorgehen der Autorinnen, welches sich jenseits des autobiographischen Modus verortet, in Zusammenhang mit Homi Bhabhas berlegungen zum  Dritten Raum . Kontrovers wurde im Anschluss die Frage diskutiert, ob bei dieser Form der Entgrenzung nicht die Gefahr bestnde, dass der Begriff des Postkolonialen zu vage wrde, um noch tragfhig zu sein? Verlre die Stimme der  Peripherie durch eine verallgemeinerte Hybriditt nicht ihre Subversivitt? Auch birgt Homi Bhabhas Denkmodell die Gefahr, dass dort, wo er die Machtproblematik mit dem Hybridisierungsgedanken verbindet, der Eindruck entsteht, innerhalb des  Zwischenraumes gbe es bestimmte privilegierte Diskurse, nmlich die postkolonialen oder minoritren Diskurse. Aber nicht alle Minoritten sind automatisch progressiv.

Abschlieend untersuchte Markus Coester (Mainz) noch eine ganz andere Konstitution des Hybriden, nmlich die des Zusammenwirkens von karibischer Populrkultur und dominanter britischer Kultur zur Zeit der Dekolonialisierungsphase anhand der aus Trinidad kommenden Calypsonians Lord Kitchener und Lord Beginner. Er fhrte in die Musikgeschichte und die damit zusammenhngende moderne Medienindustrie ein und ffnete den Blick auf die fr den postkolonialen Diskurs wichtige Hinwendung zur Populrkultur. Sein Vortrag  I am glad to know my mother country (Lord Kitchener, 1948)  Migration, Neuer Rassismus und die subversive Antwort der  Kolonialen Peripherie thematisierte die Nachkriegszuwanderung aus den britischen Kolonien nach Grobritannien, die soziale Ausgrenzung dunkelhutiger colonials im  kolonialen Mutterland als Folge dieser Zuwanderung und die daraus resultierenden tiefgreifenden Vernderungen der ffentlichen Wahrnehmung dunkelhutiger Menschen. Die Calypsonians  Vertreter einer bedeutenden populren musikalisch-poetischen Tradition in Trinidad  besaen laut Referent eine wichtige Vermittlerfunktion, waren sie doch durch ihre Popularitt wichtige Kommentatoren afrikanisch-karibischer Kultur in Grobritannien. Die auf Schallplatte verffentlichten Calypsos bewirkten ab den 50er Jahren sogar eine weltweite Rezeption dieser trinidadischen Musikform. Kster kam zu dem Schluss, dass die Calypsonians in humorvoller Art Mglichkeiten neuer, post-kolonialer und  hybrider Identitten in Aussicht stellten und dabei nationale Identitt (Britishness/Englishness) und rassistische Ideologien, die das kolonialistische Denken bestimmt hatten, unterwanderten.

Eine ffentliche Podiumsdiskussion zum Thema  Clash of Civilisations oder Kreolisierung der Welt? Zur gesellschaftlichen Relevanz der Postkolonialismusdebatte beendete schlielich am Samstag Abend die Tagung. Im Rahmen dieses Podiumsgesprchs, welches in der neuen Reihe DENKPLATZ BREMEN der Universitt Bremen stattfand, bestand die Mglichkeit im Dialog mit den nationalen und internationalen Gsten zu diskutieren sowie einen Ausblick auf weiterfhrende Fragestellungen zu geben.

Die rege Diskussionsbereitschaft und der stets sprbare Wunsch nach Dialog und Kontakt zeigte, wie wichtig es weiterhin ist, zu diesen Fragen WissenschaftlerInnen der verschiedenen Disziplinen miteinander ins Gesprch zu bringen. Die interdiszplinr ausgerichtete Konferenz zeichnete sich einerseits durch eine groe Breite methodischer und disziplinrer Zugnge aus und andererseits durch ihren Blick auf diverse Kulturrume (Brasilien, Senegal, Ruanda, Kongo, Karibik, Grobritanien, Kanada, Argentinien), gerade auch jenseits des anglophonen Feldes. Aufgrund der Weite des umrissenen Feldes und der Problemkontexte blieben - wie knnte es anders sein - geographische und theoretische  Leerstellen . So ergaben sich angrenzende Themenfelder, die einer nheren Betrachtung unterzogen werden sollten. Fr die Zukunft wird es sicherlich fruchtbar sein, neue Identitts- und Kulturmodelle wie Hybriditt und Kreolisierung intensiver zu untersuchen, besonders im Hinblick auf den lateinamerikanischen Raum, in dem sich kulturelle Hybriditt seit langem entwickelt hat und eigentlich zur exklusiven Kultur (mestizaje) avanciert ist. Aus diesem Grund wurden dort schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts Verschmelzungsdiskurse oft kritisch diskutiert. An die Stelle der Beziehung von Zentrum und Peripherie wrden dann strker Begriffe wie  Transkulturation (Fernando Ortiz),  Enttotalisierung (Martn Barbero) und  Hibridacon (Nstor Garca Canclini) treten, zumal die kulturelle Realitt Lateinamerikas in besonderer Weise durch die Gleichzeitigkeit vormoderner, moderner und postmoderner Erfahrungen geprgt ist. Eine Fortsetzung des interdisziplinren Dialogs ber solche und weitere Perspektiven der Postkolonialismus-Debatte in Deutschland bleibt ein Desiderat. INPUTS will daher alle zwei Jahre jeweils im November eine Tagung zu diesen Fragen veranstalten und so ein offenes Forum bieten. Die Beitrge dieser Veranstaltung werden 2003 als erster Band der Schriftenreihe des Instituts ( Kritische Beitrge zum postkolonialen und transkulturellen Diskurs in der Nachfolge der  Bremer Beitrge zur Afro-Romania ) verffentlicht .

 
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Veranstaltet von:
INPUTS Bremen
Institut fr postkoloniale und transkulturelle Studien
der Universitt Bremen, Fachbereich 10
In Kooperation mit:
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